In der Spezialsprechstunde AD(H)S im Erwachsenenalter der Psychiatrie Baselland finden Betroffene umfassende Diagnostik und Beratung. Zudem gibt es eine Psychoedukative AD(H)S-Gruppe für Betroffene.

Die Psychiatrie Baselland bietet bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, AD(H)S im Erwachsenenalter im Zentrum für Psychische Gesundheit in Binningen spezialisierte diagnostische Abklärungen eine Psychoedukative AD(H)S-Gruppe an. Dafür zuständig sind die Leitende Psychologin Dr. phil. Daniela Heimberg, Oberarzt Dr. med. Sebastian Thrul sowie die Psychologinnen Isabelle Alonso und Laura Würsch. Lesen Sie das Interview mit diesen Fachpersonen:

Warum bleibt AD(H)S bei manchen Menschen so lange unentdeckt?

Oft wird AD(H)S nicht erkannt, weil es von Kompensationsstrategien der Betroffenen überdeckt wird. Es wird beispielsweise versucht, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme mit aufwändigen Lernstrategien zu begegnen. Betroffene meiden nicht selten Aufgaben und Aktivitäten, bei welchen die Probleme offensichtlich würden. Die Betroffenen halten oft andere psychischen Beschwerden für die Ursache ihres Leidens. Eine AD(H)S-Abklärung erfolgt nicht selten erst nach Jahren.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, dass man von AD(H)S sprechen kann?

Damit die Diagnose ADS oder ADHS gestellt werden kann, muss eine bestimmte Anzahl von Kriterien der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein. In unserer Spezialsprechstunde klären wir die Persistenz der Störung im Erwachsenenalter ab. Damit wird deutlich, dass für eine solche Diagnose eine bestimmte Zahl von Symptomen bereits im Kindes- und Jugendalter vorliegen muss. In mindestens zwei Lebensbereichen (z.B. Arbeit, soziale Beziehungen) müssen Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können.

Gibt es spezifische Unterschiede je nach Geschlecht?

Bei Mädchen ist der unaufmerksame Typ, also die ADS, häufiger. Die Symptomatik ist hier meist weniger auffällig, wird somit häufiger nicht erkannt und erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Folglich erhalten Betroffene deutlich später Unterstützung und eine entsprechende Behandlung, was mit einer Reihe an Folgestörungen einhergehen kann.


Menschen mit einer ADS sind verträumt, abgelenkt und hypoaktiv. Zudem besteht häufig eine ausgeprägte Prokrastination, eine Entscheidungs- und Priorisierungsschwäche sowie Ängstlichkeit. Auf schwierige Situationen wird eher mit einer Flucht nach innen und mit Selbstzweifeln reagiert. Impulsives Verhalten sowie Emotionsausbrüche sind ebenso eher nach innen gerichtet.

Gibt es Berufsgruppen, in denen es mehr oder weniger Menschen mit AD(H)S gibt?

Da AD(H)S eine sogenannte Spektrumsstörung ist, kann dazu keine allgemeingültige Aussage gemacht werden. Einige Betroffene können ihre Ressourcen vor allem in einem selbständigen Beruf aktivieren, andere benötigen eine externe Struktur durch einen Arbeitgeber. Entscheidend bei der Berufswahl sind das Interesse und die Motivation. Langeweile und Unterforderung im Beruf sind gerade für AD(H)S-Betroffene eher problematisch. Sowohl Abwechslung und Freiraum als auch klar definierte Arbeitsschritte mit Fristen sind von Vorteil.

Wie lange dauert eine Therapie im Durchschnitt? Wird man irgendwann «geheilt»?

Nicht jede AD(H)S ist behandlungsbedürftig. Wenn Leidensdruck, Beeinträchtigungen sowie Begleiterkrankungen bestehen, ist eine Behandlung jedoch indiziert. In der Therapie von AD(H)S geht es vor allem um das Erlernen von Strategien und Hilfen für die Alltagsbewältigung. AD(H)S kann in dem Sinne nicht «geheilt» werden, aber es kann ein Umgang mit den Kernsymptomen wie Unaufmerksamkeit, motorische Hyperaktivität und Impulsivität sowie mit den Nebensymptomen wie Affektlabilität, Reizbarkeit/Explosivität, Stressempfindlichkeit und Desorganisation erlernt werden.

Was kann AD(H)S verschlimmern? Gibt es Aktivitäten, die man vermeiden sollte?

Menschen mit einer unbehandelten AD(H)S entwickeln häufiger Substanzstörungen als die Normalbevölkerung. Cannabiskonsum soll beispielsweise zu mehr Ordnung in den Gedanken und mehr Fokus verhelfen. Ebenso soll es zur Entspannung aufgrund der ständigen Unruhe verhelfen. Langfristig zeigt sich dann jedoch eine zunehmende Unkonzentriertheit, Motivationsschwierigkeiten sowie eine körperliche und psychische Abhängigkeit.

Werden Betroffene auch stationär behandelt?

Betroffene werden in erster Linie ambulant behandelt, idealerweise in einem längerfristigen, vertrauensvollen psychiatrisch-psychotherapeutischen Rahmen. Aufgrund der bei AD(H)S Betroffenen häufig vorliegenden psychischen Begleiterkrankungen kann in Einzelfällen eine stationäre Behandlung sinnvoll sein. Die Indikation dafür sollte von einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachperson in einer eingehenden Abklärung gestellt werden.

Der Konsum von AD(H)S-Medikamenten ist in den letzten Jahren gestiegen. Warum?

Mit der Zunahme der AD(H)S-Diagnosen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist verständlicherweise auch die Anzahl der Behandlungen gestiegen. Unser klinischer Blick für Symptome einer möglichen AD(H)S ist inzwischen deutlich geschärft. In einigen Fällen werden für die Behandlung dieser Erkrankung auch Medikamente eingesetzt. Der Grossteil der Zunahme des Konsums von Medikamenten lässt sich darum durch die gestiegene Anzahl der diagnostizierten und adäquat behandelten Betroffenen erklären.

Wann sind Medikamente hilfreich? Welche Symptome sind dafür massgebend?

Medikamente, insbesondere die sogenannten Stimulanzien, können hilfreich für Menschen sein, die in ihrem privaten und beruflichen Alltag stark unter den Symptomen einer AD(H)S leiden. Sie sollen dabei helfen, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit für die Dauer der Einnahme zu verbessern. Ob Medikamente eingesetzt werden, sollte idealerweise im Rahmen einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung abgewogen werden. Es handelt sich bei den Stimulanzien um potente Wirkstoffe, die natürlich neben den erwünschten Wirkungen auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie?

Ja, denn eine AD(H)S im Kindes- und Jugendalter kann im Erwachsenenalter fortbestehen und muss möglicherweise weiter behandelt werden. Umgekehrt stellt sich oft heraus, dass eine erwachsene Person ihre AD(H)S schon im Kindesalter hatte. Darum ist eine Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie gegeben. Hier werden Erfahrungen mit Patientinnen und Patienten sowie Therapieberichte ausgetauscht, natürlich immer in Absprache und dem Einverständnis der Betroffenen.